Wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließt, muss bei den Gesundheitsfragen nicht jeden Arztbesuch angeben – besonders dann nicht, wenn keine konkrete Diagnose gestellt wurde. Das zeigt ein aktuelles durch uns erstrittenes Urteil des Oberlandesgerichts München (Az. 14 U 3360/21), das einen besonders praxisrelevanten Fall im Versicherungsrecht entschieden hat. Die gegen das Urteil eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde des Versicherers wurde vom Bundesgerichtshof (BGH) zurückgewiesen; der BGH bestätigt daher unsere Argumentation und das Urteil des OLG München.
Als Fachanwalt für Versicherungsrecht erläutere ich die wesentlichen Aspekte dieses richtungsweisenden Urteils.
Der Fall: Versicherer verweigert Leistung wegen angeblich falscher Gesundheitsangabe
Der Kläger hatte eine Berufsunfähigkeitsversicherung bei der AXA Lebensversicherung abgeschlossen. Einige Tage vor Antragstellung war er wegen Magen-Darm-Beschwerden bei seinem Hausarzt. In diesem Gespräch erwähnte er auch beruflichen Stress – der Arzt äußerte daraufhin, dass man über eine mögliche Psychotherapie „nachdenken“ könne. Eine Diagnose wurde aber nicht gestellt.
Nach Abschluss der Police erkrankte der Kläger schwer psychisch, wurde mehrfach stationär behandelt und beantragte später Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung. Der Versicherer erklärte jedoch den Rücktritt vom Vertrag – wegen angeblich falscher Beantwortung der Gesundheitsfragen – und verweigerte die Leistung.
Das Urteil: Rücktritt vom Versicherungsvertrag unwirksam
Das Oberlandesgericht München entschied: Der Rücktritt vom Versicherungsvertrag war unwirksam. Der Vertrag besteht weiter fort. Weder sei eine arglistige Täuschung des Klägers ersichtlich, noch könne ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit unterstellt werden.
Der Senat stellte klar:
- Eine bloße Gesprächsnotiz über Stress oder eine „eventuelle“ Therapieempfehlung sei nicht gleichbedeutend mit einer Diagnose oder mit einer anzeigepflichtigen Erkrankung.
- Der Versicherungsnehmer dürfe als medizinischer Laie eine solche Situation nicht zwingend als „Behandlung wegen psychischer Erkrankung“ einordnen müssen.
- Die Gesundheitsfragen im Antrag seien weit gefasst und aus Verbrauchersicht auszulegen. Zweifel gehen zu Lasten des Versicherers.
Bedeutung für Versicherungsnehmer und Praxis
Dieses Urteil ist ein starkes Signal für alle Versicherungsnehmer, die sich gegen einen Rücktritt oder eine Leistungsverweigerung durch die Versicherung zur Wehr setzen müssen.
Viele Versicherer versuchen, sich durch Anfechtung oder Rücktritt vom Vertrag aus der Leistungspflicht zu ziehen, wenn später gesundheitliche Probleme auftreten. Doch: Nicht jede unvollständige Angabe ist eine Täuschung – und nicht jeder Arztkontakt ist eine relevante „Behandlung“.
Versicherungsnehmer dürfen darauf vertrauen, dass sie nur das angeben müssen, was für sie als Laien auch erkennbar behandlungsbedürftig war. Wird – wie hier – nur eine vage Möglichkeit einer Therapie angedeutet, ohne klare Diagnose oder Empfehlung, besteht keine Pflicht zur Offenlegung.
Fazit: Stärkung der Verbraucherrechte bei Berufsunfähigkeitsversicherung
Das Urteil des OLG München stärkt die Rechte von Versicherten gegenüber übergriffiger Praxis mancher Versicherer, die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung verweigern. Es zeigt auch, dass eine gerichtliche Auseinandersetzung lohnend sein kann – selbst wenn zunächst alles verloren scheint.
Wenn Sie selbst betroffen sind – z. B. weil Ihre Berufsunfähigkeitsversicherung die Zahlung verweigert, den Vertrag angefochten oder gekündigt hat – kontaktieren Sie mich. Als erfahrener Fachanwalt für Versicherungsrecht unterstütze ich Sie bei der Durchsetzung Ihrer Ansprüche – kompetent, engagiert und bundesweit.