Was ist das Sachverständigenverfahren in der Gebäudeversicherung?
Das Sachverständigenverfahren in der Gebäudeversicherung wird typischerweise dann eingeleitet, wenn der Versicherungsnehmer und der Versicherer sich nicht über die Schadenshöhe oder -ursache einigen können. Es geht darum, auf neutraler Basis eine verbindliche Entscheidung zu finden, ohne dass ein Gerichtsprozess notwendig wird. Das Verfahren soll einerseits eine schnelle Regulierung ermöglichen und andererseits teure sowie langwierige rechtliche Auseinandersetzungen vermeiden. Es kann von beiden Parteien, dem Versicherungsnehmer oder dem Versicherer, initiiert werden, sobald Unstimmigkeiten auftreten. Es stellt eine außergerichtliche Möglichkeit dar, Differenzen schnell und objektiv zu klären, um eine gerechte Schadenregulierung zu ermöglichen. Der Ablauf, die Voraussetzungen und die Folgen dieses Verfahrens sind sowohl in den Versicherungsbedingungen als auch in der Rechtsprechung umfassend geregelt.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Das Sachverständigenverfahren ist in den Versicherungsbedingungen (Allgemeine Bedingungen für die Gebäudeversicherung, kurz VGB) verankert. Diese Bedingungen geben vor, dass das Verfahren bei Meinungsverschiedenheiten zur Anwendung kommt. Es gibt jedoch auch gesetzliche Regelungen, die den Ablauf und die Auswirkungen des Verfahrens betreffen. So hat die Rechtsprechung klar definiert, dass das Sachverständigenverfahren im Bereich der Gebäudeversicherung und Wohngebäudeversicherung ein reines Beweisverfahren ist, das keine rechtliche Bindung für andere Streitpunkte schafft. Das heißt, dass Fragen zur Haftung oder zur Versicherungsdeckung nicht im Rahmen des Sachverständigenverfahrens entschieden werden, sondern weiterhin vor Gericht geklärt werden müssen, wenn es dazu Unstimmigkeiten gibt.
Definition Sachverständiger?
Im Sachverständigenverfahren der Gebäudeversicherung ist der Sachverständige eine fachkundige Person, die von einer der Parteien – entweder dem Versicherungsnehmer oder dem Versicherer – beauftragt wird, um die Schadensursache und die Schadenshöhe zu ermitteln. Jede der beiden Parteien benennt ihre eigenen Sachverständigen, und beide Experten erstellen unabhängig voneinander Gutachten. Die Aufgabe des Sachverständigen besteht darin, eine neutrale und objektive Beurteilung vorzunehmen, basierend auf seinem Fachwissen und den Gegebenheiten des Schadensfalls.
Wer trägt die Kosten des Sachverständigenverfahren in der Gebäudeversicherung?
Die Kostenverteilung im Sachverständigenverfahren ist klar geregelt, um sicherzustellen, dass beide Parteien fair an den entstehenden Ausgaben beteiligt werden. Grundsätzlich trägt jede die Kosten für den von ihr beauftragten Sachverständigen der Partei selbst. Das bedeutet, dass sowohl der Versicherungsnehmer als auch der Versicherer die Kosten für ihre jeweiligen Sachverständigen unabhängig voneinander begleichen müssen. Dies umfasst sowohl die Honorare für die Gutachten als auch mögliche weitere Kosten, die im Rahmen der Untersuchung entstehen.
Eine Besonderheit ergibt sich jedoch bei der Bestellung des Obmanns, die hinzugezogen wird, wenn die beiden Sachverständigen zu unterschiedlichen Bewertungen kommen. Die Kosten für den Obmann, der als neutraler Dritter eine verbindliche Entscheidung trifft, werden in der Regel zu gleichen Teilen von beiden Parteien getragen. Dies stellt sicher, dass keine der beiden Seiten finanziell benachteiligt wird und beide Parteien gleichermaßen zur Lösung des Konflikts beitragen.
Darüber hinaus sollten Versicherungsnehmer beachten, dass die Gesamtkosten des Verfahrens unter Umständen erheblich sein können, insbesondere wenn sich das Verfahren über einen längeren Zeitraum hinzieht oder zusätzliche Untersuchungen erforderlich werden. Es ist daher ratsam, die Erfolgsaussichten des Verfahrens sorgfältig abzuwägen, bevor es initiiert wird. Einige Versicherungsverträge sehen in Ausnahmefällen auch vor, dass die Kosten des gesamten Verfahrens oder eines Teils davon vom Versicherer getragen werden, wenn das Gutachten zugunsten des Versicherungsnehmers ausfällt. Hierbei lohnt es sich, einen genauen Blick gemeinsam mit einem Anwalt für Versicherungsrecht in die Vertragsbedingungen zu werfen, um mögliche Kostenrisiken besser einschätzen zu können.
Zusätzlich besteht die Möglichkeit, im Einzelfall Verhandlungen über die Kostenverteilung zu führen, insbesondere wenn eine Partei die Kostenbelastung als unangemessen hoch empfindet. Solche Verhandlungen können jedoch nur im gegenseitigen Einvernehmen und außerhalb der formalen Versicherungsbedingungen stattfinden.
Ablauf des Sachverständigenverfahrens
- Das Sachverständigenverfahren beginnt in der Regel, sobald eine der beiden Parteien – entweder der Versicherungsnehmer oder der Versicherer – Unstimmigkeiten über die Schadensursache oder -höhe feststellt und das Verfahren förmlich einleitet. Beide Parteien benennen dann jeweils einen eigenen Sachverständigen, der die Aufgabe hat, den Schaden objektiv zu begutachten. Diese Sachverständigen arbeiten unabhängig voneinander und sind verpflichtet, ihre Bewertungen auf einer neutralen, fachlich fundierten Grundlage zu treffen. Sie führen in der Regel eine genaue Untersuchung des Schadensobjekts durch, analysieren die Schadensursache und bewerten die Kosten für die Behebung des Schadens. Dabei greifen sie auf Fachwissen, Erfahrung und – falls erforderlich – technische Hilfsmittel zurück.
- Im weiteren Verlauf legen beide Sachverständigen ihre Gutachten vor. Diese Gutachten enthalten detaillierte Informationen zur Schadenshöhe sowie zur möglichen Ursache des Schadens. Die Experten müssen dabei auch ihre Bewertungsmethoden offenlegen und die Grundlagen ihrer Entscheidung nachvollziehbar dokumentieren. In vielen Fällen stimmen die beiden Gutachten in ihren wesentlichen Aussagen überein, was eine schnelle Klärung des Falls ermöglicht.
- Kommt es jedoch zu Abweichungen in den Bewertungen der Sachverständigen, greift der nächste Schritt des Verfahrens: Die beiden Experten versuchen zunächst, sich untereinander auf eine gemeinsame Lösung zu einigen. Gelingt dies nicht, wird ein dritter Sachverständiger – der sogenannte Obmann – hinzugezogen. Seine Rolle besteht darin, als neutraler Dritter die Differenzen zwischen den beiden Sachverständigen zu schlichten und eine verbindliche Entscheidung zu treffen. Dieser Prozess ist besonders wichtig, da der Obmann im Idealfall eine endgültige Lösung herbeiführt, die für beide Parteien verbindlich ist.
Während des gesamten Verfahrens ist es entscheidend, dass die Neutralität und Unabhängigkeit der Sachverständigen gewahrt bleibt. Alle bewährten müssen sicherstellen, dass das Verfahren ohne äußeren Einfluss und ausschließlich auf Basis der vorliegenden Fakten und Gutachten abläuft. Dies trägt zur Transparenz und Fairness des Verfahrens bei, was letztendlich das Vertrauen in das Sachverständigenverfahren als effiziente und gerechte Methode zur Konfliktlösung stärkt.
In der Praxis kann der genaue Ablauf des Verfahrens je nach Komplexität des Schadens und den spezifischen Vereinbarungen in den Versicherungsverträgen variieren. Einige Verfahren erfordern zusätzliche technische Untersuchungen, während andere Fälle schneller geklärt werden können. Unabhängig davon bleibt das Ziel des Sachverständigenverfahrens jedoch immer dasselbe: eine objektive, außergerichtliche Einigung im Interesse beider Parteien zu finden.
Darf die Versicherung das Sachverständigenverfahren ablehnen?
Eine grundsätzliche Ablehnung des Verfahrens durch die Versicherung ist in den meisten Fällen nicht zulässig, da das Sachverständigenverfahren als fester Bestandteil der vertraglichen Vereinbarungen in den Allgemeinen Bedingungen für die Gebäudeversicherung (VGB) verankert ist.
Allerdings gibt es bestimmte Ausnahmen, unter denen die Versicherung das Verfahren ablehnen könnte. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die Differenzen nicht die Schadenshöhe oder -ursache betreffen, sondern andere Streitpunkte, wie etwa die grundsätzliche Deckung des Schadens durch die Versicherung. In solchen Fällen kann die Versicherung argumentieren, dass das Sachverständigenverfahren nicht das geeignete Mittel zur Klärung der Streitigkeit ist, da hier möglicherweise gerichtliche Entscheidungen notwendig sind.
Auch kann die Versicherung das Verfahren ablehnen, wenn vertraglich festgelegte Voraussetzungen nicht erfüllt wurden, etwa wenn der Versicherungsnehmer das Verfahren nicht rechtzeitig einleitet oder bereits im Vorfeld grobe Verfahrensfehler gemacht wurden. Es ist jedoch wichtig, dass die Versicherung eine Ablehnung gut begründen muss, da sonst dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit offensteht, das Verfahren gerichtlich durchzusetzen.
Keine Einigung zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer: Obmann bestellen
Wenn sich die beiden Sachverständigen im Verfahren nicht einigen, wird ein neutraler Obmann hinzugezogen. Dieser Dritte wird entweder von den beiden Sachverständigen gemeinsam bestimmt oder – falls keine Einigung erzielt wird – durch ein Gericht gewählt. Der Obmann übernimmt die Aufgabe, die vorliegenden Gutachten zu überprüfen und eine endgültige Entscheidung zu treffen, die für beide Parteien bindend ist. Dabei arbeitet der Obmann unabhängig und objektiv, um eine faire Lösung sicherzustellen. Er hat das Recht, eigene Ermittlungen durchzuführen, um die Differenzen sachlich zu klären. Die Entscheidung des Obmanns kann in der Regel nur bei schwerwiegenden Fehlern oder Befangenheit angefochten werden. Dieses Vorgehen ermöglicht eine effiziente und außergerichtliche Beilegung des Konflikts.
Vorteile des Sachverständigenverfahren in der Gebäudeversicherung
Neutralität und Unabhängigkeit: Durch die Benennung unabhängiger Sachverständiger und eines neutralen Obmanns wird eine objektive Grundlage für die Schadensbewertung geschaffen.
Effizienz und Schnelligkeit: Das Verfahren ermöglicht eine schnellere Lösung als ein Gerichtsverfahren, wodurch langwierige rechtliche Auseinandersetzungen vermieden werden.
Verbindliche Gutachten: Die Gutachten haben eine starke Indizwirkung und können als Entscheidungsgrundlage vor Gericht herangezogen werden, falls es doch zu einem Rechtsstreit kommt.
Vertragsgebundene Konfliktlösung: Da das Verfahren in den Versicherungsbedingungen verankert ist, bietet es eine verlässliche und außergerichtliche Lösungsmöglichkeit.
Kostenkontrolle: Durch klare Regelungen zur Kostenverteilung bleibt beiden Parteien eine gewisse finanzielle Transparenz und Planungssicherheit erhalten.
Nachteile des Sachverständigenverfahren
Keine absolute Bindungswirkung: Obwohl die Entscheidungen des Obmanns bindend sind, können sie bei schwerwiegenden Mängeln angefochten werden, was jedoch zu Rechtsstreitigkeiten führen kann.
Hohe Kosten: Insbesondere bei komplexen Fällen können die Kosten für Sachverständige und den Obmann beträchtlich sein.
Begrenzter Geltungsbereich: Das Verfahren regelt ausschließlich Fragen zur Schadenshöhe und -ursache, nicht jedoch grundsätzliche Deckungsfragen, die weiterhin vor Gericht geklärt werden müssen.
Abhängigkeit von Gutachterkompetenz: Die Qualität des Verfahrens hängt stark von der Kompetenz der Sachverständigen ab, was bei mangelnder Expertise zu Problemen führen kann.
Rechtliche Urteile
Die Rechtsprechung hat in den letzten Jahren einige zentrale Urteile zum Sachverständigenverfahren gefällt, die die Rechte und Pflichten der Parteien genauer definiert haben. So hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass ein Sachverständigenverfahren nicht die Möglichkeit ausschließt, später doch noch gerichtlich gegen eine Entscheidung vorzugehen, insbesondere wenn grobe Fehler bei der Begutachtung vorliegen (BGH, Urteil vom 26.10.2011 – IV ZR 38/10). Das bedeutet, dass das Verfahren zwar eine starke Indizwirkung hat, aber keine absolute Bindung für die Gerichte.
Ein weiteres wichtiges Urteil des BGH (BGH, Urteil vom 19.07.2017 – IV ZR 535/15) betonte die Bedeutung der Neutralität des Obmanns. Das Gericht entschied, dass der Obmann keinesfalls im Vorfeld von einer der Parteien beeinflusst werden darf und völlig unabhängig in seiner Entscheidung sein muss. Sollten Hinweise auf eine Befangenheit vorliegen, kann das Ergebnis des Verfahrens angefochten werden.
Darüber hinaus hat die Rechtsprechung klargestellt, dass das Sachverständigenverfahren kein Präklusionsverfahren darstellt. Das bedeutet, dass eine Partei, die das Sachverständigenverfahren in Anspruch nimmt, nicht automatisch das Recht verliert, spätere Einwendungen vorzubringen, solange diese auf neuen Tatsachen oder Erkenntnissen beruhen.
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